Aspergersyndrom

Mit circa 9 Jahren wurde nach vielen Jahren Ungewissheit,
bei unserem Sohn das Asperger-Syndrom diagnostiziert.

Dass unser Sohn “Anders” ist als andere Kinder, war uns von Anfang an klar.
Aber für uns war das nie wirklich ein Problem. Diese Art hat ihn
einfach ausgemacht und für uns ist und bleibt er sowieso immer etwas Besonderes!

Die Probleme begannen erst ab der Spielgruppe und im Kindergarten, als sich
unser Kind mit der großen und oft harten Umwelt auseinander setzen musste.

Das Aspergersyndrom ist eine Form von Autismus.
Im Groben bedeutet das Asperger-Syndrom, dass es einem betroffenen Menschen oft
sehr schwer möglich ist, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt
seiner Mitmenschen hineinzuversetzen und auch seine eigenen Gedanken und
Gefühle kann er meistens nicht richtig an seine Umwelt vermitteln.

Ausserdem ist es für ein Kind mit Asperger-Syndrom sehr schwierig, die Gesten und
Mimiken der Mitmenschen immer richtig zu interpretieren. Beispiel: Man kann zwar z.B.
mit dem Mund lachen, aber mit der Augenstellung drückt man eigentlich aus, dass man
spottet. Die meisten Menschen erkennen den richtig gemeinten Gefühlsausdruck. Ein Mensch
mit Asperger-Syndrom aber verarbeitet meist nur die Mimik des Mundes. Also meint er
dass jemand freundlich lacht, erkennt aber nicht den Spott der Augen. So kommt es natürlich
oft im zwischenmenschlichen Bereich zu Missverständnissen.

Irrtümlich wird von der Umwelt immer angenommen, dass diese Wesensart eine Marotte
oder manchmal auch eine Unart dieser Menschen ist oder manche Mitmenschen meinen sogar,
dass sich diese Wesensart im Laufe des Lebens wieder gibt (so wie man sich eine dumme
Angewohnheit wieder abgewöhnt). Das ist absolut nicht der Fall! Würde man von einem Kind das
z.B. farbenblind ist erwarten, dass es plötzlich im Laufe des Lebens die Farben erkennt?

Das Asperger-Syndrom ist eine Behinderung, mit der ein betroffener Mensch ein Leben
lang umgehen muss. Nur dass es eine Behinderung ist, die man auf den ersten Blick nicht sieht.
Betroffene Menschen sind nach aussen hin auf den ersten Blick wie jeder Andere. Auffällig
ist, dass sich diese Menschen oft ein wenig absondern bzw. zurück ziehen und nicht nur
im Kinderalter, sondern auch als Erwachsene sich oft ein wenig unbeholfen in ihrer Umwelt
zurecht finden. Wobei ein Betroffener auch im Laufe des Lebens durch viele negative
Erfahrungen lernt sich durch Anpassung unauffälliger zu verhalten. Jedoch braucht ein
Betroffener dafür auch Menschen hinter sich, die ihn so akzeptieren wie er ist und die mit
Geduld auf ihn eingehen und ihm sehr viele Dinge die ihm selber unbegreiflich erscheinen
erklären.

Was für andere Menschen einfach erscheint, ist für Asperger-Betroffene oft ein weltbewegendes
Problem. Unser Sohn ist gerade 16 Jahre alt. In der Schule wird daher automatisch angenommen,
dass er mit jeder Alltagssituation genau wie seine Altersgenossen umgehen kann. Für ihn ist
es aber z.B. ein großes Problem, wenn die Sitzordnung plötzlich umstrukturiert wird.
Andere Kinder setzen sich einfach auf den neuen Platz. Er steht hilflos im Klassenzimmer und
findet sich mit der neuen Situation schwer zurecht. Es würde ihm helfen, wenn ein Lehrer
einfach für ihn die Platzwahl übernimmt und ihn einfach beim Arm nimmt und ihm seinen neuen
Platz anweist. Das ist aber nur ein Beispiel und kann in allen Lebenssituationen vorkommen.
Manche Mitmenschen sehen dann das Problem nicht und können damit auch nicht richtig umgehen.

Manchmal hat man das Gefühl, dass Mitmenschen meinen, sie können ihm seine Unbeholfenheit
austreiben oder ihn sogar umerziehen. Und dann wird eben so eine Situation nicht richtig
erkannt und er wird einfach hilflos stehen gelassen und man erwartet, dass er sich irgendwann
damit zurecht findet.

Obwohl Menschen mit dem Asperger-Syndrom in den meisten Wissensgebieten ein sehr fundiertes
Wissen und auch meistens überdurchschnittliche Intelligenz besitzen, kann es vorkommen,
dass sie in eine ganz falsche Schublade gesteckt werden. An dieser Stelle möchte ich kurz
erwähnen, dass unser Sohn ein Gymnasium besucht obwohl das laut Grundschullehrer damals
nicht der richtige Platz für ihn hätte sein sollen und er damals in eine
Förderschule hätte "abgeschoben" werden sollen.

Selbst wenn man versucht Lehrern oder anderen Mitmenschen über dieses Syndrom
aufzuklären, sind die Gedankengänge eines Aspergers nicht immer einfach
für diese nachvollziehbar.
Für manche Mitmenschen ist das so schwer nachvollziehbar, dass sogar manche
Reaktionen unseres Sohnes auf bestimmte Situationen bewusst von diesen herausgefordert werden
um seine Reaktion herauszukitzeln. Wenn er dann falsch reagiert, wird er entweder ausgelacht
oder ist für Vieles der Sündenbock.

Da unser Kind erst ein paar Tage braucht, um so eine Herausforderung seiner
Mitmenschen zu verarbeiten, kann es vorkommen, dass er erst Tage später darauf reagiert.
Da aber dann die Mitmenschen oft nicht mehr wissen, dass eigentlich ein paar Tage davor
sie der Auslöser für seine Retourkutschen-Reaktion waren, sieht es oft so aus,
als wäre er der Böse oder gar Aggressive.
Und unser Kind reagiert auch nicht wie andere Kinder hinter dem Rücken der Lehrer
und von diesen ungesehen. Wenn er sich wehrt, dann genau in dem Moment in dem es ihm
einfällt und dann unabhängig davon, ob eine Aufsichtsperson dabei ist oder nicht.
Somit ist für die Lehrer irrtümlich er der Auslöser für
Unstimmigkeiten.

Leider ist es schwer, manchen Mitmenschen klarzumachen dass sie ihn einfach sein lassen
sollen wie er ist und notfalls ihn einfach in Ruhe lassen sollen anstatt ihn herauszufordern.

Unser Sohn ist keineswegs frech, böse oder aggressiv. Ganz im Gegenteil!
Er hat sehr hohe Wertvorstellungen von der Umwelt und von seinem Leben überhaupt.
Und dass er Gefühle und Gedanken von Mitmenschen oder sich selber nicht immer
richtig einordnen kann heißt ja nicht automatisch, dass er keine großen Gefühle
und tiefgründigen Gedanken hat - ganz im Gegenteil!
Unser Kind ist ein liebevoller Mensch, der sehr hilfsbereit ist. Er ist
fröhlich, hat viele Interessen und liebt sein Leben, auch wenn ihm dieses nicht immer
leicht gemacht wird von der Umwelt.

Wenn ein Mensch mit Asperger-Syndrom zu viele Umwelteindrücke auf einmal verarbeiten
muss, ist das für ihn purer Streß. Lärm ist für unseren Sohn sehr schlimm, auch
wenn zu viele Menschen auf einmal in einem Raum sind. Es ist nicht einfach die Eindrücke
der Gestik, der Mimik, des gesprochenen und des gehörten Wortes EINES Menschen für ihn
zu verarbeiten. Wieviel Mal schlimmer ist es erst dann, wenn eine große Gesellschaft
einzuordnen ist? Wenn es ihm zuviel wird, dann zieht er sich einfach zurück und schaltet
für sich ab. Und dieses Recht sollte ihm auch von seinen Mitmenschen zugestanden werden!

Manchmal hat man das Gefühl, dass man sich stellvertretend für ihn entschuldigen sollte,
dass er diese Probleme hat. Aber jeder vernünftige Mensch sollte wissen, dass es dafür
nichts zu entschuldigen gibt. Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben sich dies genauso
wenig ausgesucht, wie andere Menschen mit anderen Behinderungen.

Gottseidank aber machen wir als Familie mehr positive als negative Erfahrungen mit der Umwelt.
Wir gehen sehr offen mit dem Thema um und auch mit unserem Sohn reden wir über dieses Thema.
Schließlich ist er der Betroffene und muss damit leben. Es ist nur nicht immer einfach für
alles eine Erklärung zu finden. Selbst schlechte Erfahrungen können aber am Ende oft eine
lehrreiche Erfahrung gewesen sein. In diesem Sinne werden wir immer hinter unserem Sohn
stehen und uns auch immer wieder mit der Umwelt auseinander setzen.

Über das Leben unseres Sohnes mit dem Asperger-Syndrom könnte ich noch Vieles schreiben.
Allerdings würde das ins Uferlose führen und Manches wäre für Aussenstehende sowieso
sehr schwer nachvollziehbar und manchmal wäre es auch nicht einfach für mich bestimmte
Gegebenheiten so wiederzugeben, dass diese stimmungsmässig für den Leser richtig zu
interpretieren wären.

Ganz aktuell können wir sagen, dass sich auch der Umgang der Mitschüler und Lehrer mit unserem
Sohn sehr stark gebessert hat, als er im Laufe des letzten Jahres in die Pubertät kam. Er
konnte besser über die Reaktionen der Mitschüler hinweg sehen, dreht sich bei Herausforderungen
einfach um und geht weg und ist dadurch auch nicht mehr so arg angreifbar.

Es spielt auch sicherlich eine Rolle, dass er auch körperlich an Größe und Stärke gewonnen hat
und man ihn deswegen auch immer mehr in Ruhe lässt.

Ich denke, dass ich das Wichtigste zusammen gefasst habe. Sollte Jemand, der diese Seite
bewusst oder rein zufällig liest mehr zu diesem Thema oder über das Zusammenleben mit
unserem Sohn erfahren wollen, dann würde ich mich freuen, wenn dieser Jemand mit uns Kontakt
aufnimmt.

Wir möchten unser Kind nicht ändern, da erstens das Asperger-Syndrom sowieso nicht
“heilbar” ist und zweitens wir unser Kind so lieben, wie es ist. Wir und unser Sohn
haben gelernt damit umzugehen.

Unser Wunsch ist, dass erstens dieses relativ unbekannte Syndrom bekannt gemacht wird und
dass auch die Umwelt lernt, mit dem Anderssein unseres Sohnes und auch von anderen Menschen
mit diesem Syndrom umzugehen. Mehr Verständnis und mehr Toleranz wäre ein großer Schritt
zu einem leichteren Zusammenleben und das nicht nur zu diesem Thema sondern überhaupt im
Zusammenleben mit allen Menschen die Anders sind als Andere......

Silvia St. 2006



So gings dann weiter:

2007 kriselte es in meiner Ehe und ich trennte mich von meinem Mann.
Manchmal wenn ich darüber nachdenke war vielleicht auch der Druck der Umwelt wegen
Thomas ein Mitgrund für die Trennung. Kann man hinterher aber immer schwer sagen.
Anfangs blieb Thomas bei seinem Vater weil ich nur ein 20qm-Apartement hatte und
keinen richtigen Platz. Deshalb fuhr ich dann jeden Tag zu Thomas.
In dieser Zeit musste Thomas ein klein wenig selbständiger werden und ich denke das hat er auch
ganz gut geschafft. Die 10. Klasse musste er leider wiederholen. In der Zeit war grade die Ehekrise
und auch der Tod meiner 2006 verstorbenen Mama war für ihn eine große Belastung.
Derzeit ist er in der 13. Klasse eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums
und bereitet sich für sein Abitur vor. Seine Facharbeit ist "Fraktale Geometrie".
Seit Anfang 2009 wohnt Thomas bei mir und meinem neuen Lebensgefährten. Mit meinem Freund
verstand sich Thomas von Anfang an sehr gut. Auch zu seinem Vater hat Thomas regelmässig Kontakt.
Ich denke dass Thomas seinen Weg gehen wird .. auch wenn der vielleicht immer ein bisschen anders
ist als bei Gleichaltrigen ...
Insgesamt gesehen bin ich sehr stolz auf meinen Sohn und dass wir gemeinsam immer wieder
gekämpft haben, dass Thomas seinen Platz in der Gesellschaft findet.
Er ist in Gruppen mit Gleichaltrigen inzwischen akzeptiert und die Mitschüler gehen
auf ihn zu und er fühlt sich wohl. Thomas spielt nach wie
vor in seiner Djemben-Trommel-Gruppe und beschäftigt sich in seiner Freizeit viel am PC und
mit lehrreichen Themen.
Übrigens musste ich schmunzeln, als gerade Thomas im letzten Schuljahr einen
Psychologiekurs besuchte, der an der Schule angeboten wurde. Bisher dachte man ja immer dass Thomas
sich schwer in andere Menschen hineinversetzen kann. Aber ich bin mir inzwischen sicher, dass er das
sehr gut kann. Ich denke dass er es nur manchmal nicht mit Worten zum Ausdruck bringen kann.
Im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden und glücklich mit dem heutigen Stand.
Nur gelegentlich muss die Mama ein bisschen lernen los zu lassen ... seufz ...
Aber auch ich arbeite nach wie vor an mir ... ;-)

Übrigens: wer Thomas begegnet und ihm nicht von Anfang an die Chance gibt ihn so kennen zu
lernen wer er wirklich ist, der nimmt sich auch die Chance einen liebenswerten und besonderen
Menschen kennen zu lernen...

Silvia St. November 2010


News aus dem Jahr 2011:

seit Herbst studiert Thomas "medizinische Informatik".
Wir sind sehr stolz auf ihn! Und manchmal würde ich mir wünschen, dass einige Menschen
aus seiner Vergangenheit, die nicht an ihn geglaubt haben, sehen wie toll der seinen
Weg gefunden hat!

Silvia St. November 2011


Nachstehend ein paar Links, die sich ebenfalls mit dieser Thematik beschäftigen:


Diana - eine Betroffene erzählt über sich.

Eltern-Selbsthilfegruppe Nordbaden-Pfalz

Autismus-Web.de